In Memoriam - 'jazz club rheda' 1955-1975 Ein Rückblick aus dem Jahre 1988 | Autor: Günther Rettig
Und so fing es an . . . Im Winterhalbjahr 1954/55 fanden sich allwöchentlich einmal die Mitglieder unseres Schwimmvereins im "Sportheim" zusammen, um die Kameradschaft der Sommermonate auch über den Winter hinaus zu pflegen. Eines Abends stand ein Plattenspieler auf dem Tisch und man hörte die Aufnahme vom "Deutschen Jazzfestival 1954". Man beschloß, auch weiterhin an einem Abend in der Woche Jazzmusik zu hören und traf sich zunächst in einem kleinen, privaten Stübchen der "Gaststätte Dreier".
Als jedoch die Räumlichkeiten zu klein wurden, bot sich im "Picasso-Keller" der Konditorei Hurlbrink die bessere Gelegenheit zur Durchführung unserer Abende, da dort keine anderen Gäste gestört wurden. Es hat wohl so sein sollen, daß sich der Kegelclub "Damensicher" für seinen Sommerausflug auf Timmendorfer Strand einigte. Dort gastierte zur gleichen Zeit das Rediske-Quintett aus der Berliner "Badewanne". So ist es nur allzu verständlich, daß die jazzbegeisterten Mitglieder des Damen-Clubs dort ständige Gäste bei den Auftritten der Rediskes waren.
Wie das JOHANNES REDISKE QUINTETT nach Rheda kam
Am 7. September 1954 schrieben wir erstmalig von Rheda nach Berlin. Am 7. Oktober 1954 kam von Rediske die Antwort: Ja, wir kommen gern zu Euch nach Rheda !
Das erste Jazzkonzert mit dem Johannes-Rediske-Quintett wurde für den 28. Januar 1955 festgelegt. Das Quintett mußte vor diesem Termin zu Funkaufnahmen nach Stuttgart. Doch wer wollte das Konzert aufziehen? Würden die benötigten Gelder auch hereinkommen?
Die jazzbegeisterten Schwimmer und Kegelbrüder konnten das Risiko nicht übernehmen. Es fand sich schnell eine Lösung: Die Volkshochschule-Rheda unter Leitung des Herrn Realschuldirektor Johannes Kleine gab sofort ihre Zustimmung dazu, das Konzert in den Rahmen ihrer eigenen Veranstaltungen hinein zu nehmen. Die Schwimmer und Kegler sagten ihre Mitarbeit zu und nun begannen die umfangreichen Vorarbeiten.
Dann endlich am 28. Januar 1955 um 7.50 Uhr traf folgendes Telegramm aus Stuttgart ein:
>>> EINTREFFEN 14.00 UHR PER HUBSCHRAUBER | HOTEL REUTER | TASCHE AUS HELMSTEDT BITTE AUFBEWAHREN = REDISKE+ <<< Mittags trafen sie ein.
Zwar nicht per Hubschrauber, aber mit einem Volkswagen-Bulli. Müde nach der langen Fahrt. Jetzt stellte es sich auch heraus, welche Bewandnis es mit der "Tasche aus Helmstedt" auf sich hatte ! Die Tasche war natürlich noch nicht in Rheda angekommen und darin hatte der Bassist Manfred Behrendt sein weißes "Konzerthemd" und seine schwarzen "Konzertschuhe"! Doch es wurde schnell für Ersatz gesorgt - nur die Schuhe waren ganze 3 Nummern zu groß. Zur Größe seiner Baßgeige waren sie aber immerhin noch als klein zu bezeichnen. Das Konzert fand im Saal des Hotel-Restaurant Reuter statt. Von 221 zur Verfügung stehenden Plätzen blieben nur 25 Plätze frei. Ein schöner Erfolg für unser erstes Jazzkonzert !
Am Tag nach dem Konzert, am 29. Januar 1955, trafen sich die Mitglieder des Rediske-Quintetts, aus ihren Privatquartieren kommend, bei mir zuhause ein. Aus der geplanten, sofortigen Weiterfahrt nach Braunschweig, wo am Abend auch ein Konzert stattfinden sollte, wurde so schnell noch nichts. Erst mußten die Instrumente ausgepackt werden und dann wurde im großen Freundeskreis gejamt ! Dieses 1. Jazzkonzert hat zu einer dauernden Freundschaft zwischen uns und allen Mitgliedern des Rediske-Quintetts beigetragen. Es stellte sich heraus, daß außer den bisherigen jazzinteressierten Schwimmerinnen und Schwimmern auch noch eine ganze Reihe anderer Jazzinteressenten gern an unseren Abenden teilnehmen wollten. So wurde beschlossen, den "jazz club rheda" zu gründen. Der Beschluss der Mitgliederversammlung war im März 1955.
Die erste "Musikalische Bombe" schlägt ein . . .
Als wir anläßlich des Konzertes mit dem amerikanischen Cornettisten "Wild Bill Davison" und den Deutschen Dixieland-Allstars am 15. September 1957 ein Konzert mit dem weltberühmten "Modern Jazz Quartett" ankündigten, sahen wir viele erstaunte Gesichter. Aus vielen dieser Gesichter sprach regelrechte Ungläubigkeit und so wurden wir auch von den verschiedensten Seiten her gefragt, ob es sich um das echte "Modern Jazz Quartett" aus den USA handeln würde. Wir konnten dieses nur bejahen.
Obwohl wir die Sitzmöglichkeiten in der Aula auf 600 Plätze erweitert hatten, waren wir schnell ausverkauft ! Da wir noch mit einem Ansturm an der Abendkasse rechneten, baten wir die hiesige Polizei um die Unterstützung durch die Abstellung eines Beamten, da wir beim besten Willen keine weiteren Plätze mehr aufstellen konnten. Dieser Beamte erschien auch und hatte nichts besseres zu tun - wahrscheinlich verstand er von der Musik nichts - als die Anzahl der Plätze zu zählen und am nächsten Morgen dem Stadtdirektor einen schriftlichen Bericht zu übergeben, welcher jedoch sofort in den Papierkorb wanderte ! Das war unsere erste "Musikalische Bombe". Es folgten im Laufe der nächsten Jahre weitere Sensations-Konzerte, wie z. B. das mit dem OSCAR-PETERSON-Trio oder mit den JIMMY GIUFFRE THREE, u.a.m.
Aus den Archiven
1955 | Rediske
1956 | Jazzkeller
1957 | M.J.Q. USA
1957 | M.J.Q USA
Rediske 1962
1962 | A. Nicholas
Gebr. Mangelsdorff
Die 1957 in Rheda spielende Formation des Modern Jazz Quartett waren John Lewis (Piano), Milt Jackson (Vibraphon), Percy Heath (Kontrabass) und Connie Kay (Schlagzeug). Das MJQ entstand aus dem Milt Jackson-Quartett, in dem der Jazz-Pianist John Lewis bis 1952 spielte. Die Gruppe war in Europa seit 1957 sehr erfolgreich. Als musikalischer Leiter arrangierte John Lewis das gesamte Material für das Quartett, welches sich 1974 auflöste.[Hajo Weber]Sonstige Aktivitäten Unsere eigene Clubcombo - Heinz Stukemeier, Piano & Tenorsaxophon | 'Shorty' Schmitz, Bass | Walter Tacke, Gitarre | Werner Zeitler, Schlagzeug - wurde auf Veranlassung von Dr. JAZZ zu einer Amateur-Jazz-Veranstaltung zum Norddeutschen Rundfunk Hamburg eingeladen. Zu erwähnen sind auch die gemeinsamen Konzertbesuche in kleinerer oder größerer Anzahl unserer Clubmitglieder in der näheren oder weiteren Umgebung. Besonders die Großveranstaltungen in der Gruga-Halle in Essen, anläßlich der Ruhrfestspiele in Recklinghausen, in der Halle Münsterland, die Amateur-Festivals in Düsseldorf und das Deutsche Jazz-Festival in Frankfurt.
Geselligkeit wurde beim Club stets großgeschrieben ! Zur Karnevalszeit wurde unter reger Anteilnahme vieler Mitglieder der Saal Reuter geschmückt. Später fanden diese karnevalistischen Abende im kleineren Kreis in der Milchbar der Parkschule oder im Café Hurlbrink statt. Nicht vergessen wollen wir auch einen Abend mit dem Jazzkommentator des Deutschlandsenders Berlin, Karl-Heinz Drechsel. Im Clubkeller bei Hurlbrink führte er uns Bandmitschnitte von Aufnahmen einiger Amateurjazzgruppen aus der DDR vor. Die Leistungen waren überdurchschnittlich gut.
Letztlich möchte ich noch die vielen Clubabende mit Life-Jazz, Schallplatten und unseren Konzert-Mitschnitten erwähnen. Viele dieser Abende werden den Clubmitgliedern unvergessen bleiben. Unter der Leitung des leider auch inzwischen (Stand 1988) verstorbenen Hans-Jürgen Bodderas fand ein Diskussionsabend im Café Hurlbrink mit dem über lange Jahre hinaus äußerst bekannten und regen 'Club der Optimisten' statt. Verschiedene Clubmitglieder sprachen über die diversen Stilrichtungen im Jazz. Für diesen Abend wäre zu bemerken, daß der aus Paris stammende Roger Gabriel - entgegen unseres Hinweises - die Platte mit Mahalia Jackson "Silent Night" auflegte. Das löste verständlicherweise unter den Optimisten eine Diskussion aus. Was absolut nicht erwartet wurde: Eine Mehrzahl sprach sich für diese Darstellungsart der Mahalia Jackson aus !
Von verschiedenen Jugendgruppen des damaligen Kreises Wiedenbrück und auch von der VHS Warendorf wurden wir zu Jazzvorträgen eingeladen. Aus dem Club heraus wurde eine "Arbeitsgemeinschaft für moderne Musik der VHS Rheda" gegründet. Diese Abende wurden von Professor Friedrich-Wilhelm Schnurr, Musikhochschule Detmold, geleitet. Herr Schnurr führte uns auch in die 12-Ton-Musik ein.
Schlußwort zum letzten Konzertabend 1975
Günther Rettig, 1. Vorsitzender : "Mit Jazz aus Berlin und dem Johannes-Rediske-Quintett begann es im Jahre 1955. Mit Jazz aus Berlin im Jahre 1975 wollen wir nun auch unsere Konzertreihe beenden. Es war vorgesehen, eine Gruppe Berliner Jazzmusiker, darunter auch Johannes Rediske, nach Rheda zu verpflichten. Dieses wäre uns auch gelungen, wenn das Schicksal im Hinblick auf unseren Freund nicht anders gespielt hätte.
Johannes Rediske verließ uns leider am 22. Januar 1975 für immer. Bei den Musikern unseres letzten Konzertabends sind jedoch einige, die oft mit Johannes gespielt haben. Lothar Noack gehörte von der Gründung bis zur Auflösung des Quintetts dazu. Paul Kuhn und Carmell Jones haben oft mit Johannes zusammengespielt und Dorothy Ellison war mit ihm in den letzten Jahren häufig auf Tournee. Nach diesem 50. Konzert wird der Club keine weiteren Veranstaltungen dieser Art mehr durchführen, denn er glaubt, seine Aufgabe erfüllt zu haben. Von kommerziellen Veranstaltern, Jugendringen, Volkshochschulen wurden in der näheren Umgebung häufig Jazzkonzerte veranstaltet." Der "jazz club rheda" löste sich 1975 auf. Verfasser des Textes: Günther Rettig 1988 | Fotos: Archiv Rettig.An die Rhedaer Jazzgeschichte anknüpfend wurde im Jahr 2022 von einer Gruppe Jazzbegeisterter ein Nachfolge-Club gegründet. ⇒⇒⇒zur Webseite